Samstag, 2. Januar 2016

Multikrise und persönlicher Antrieb



Aus dem Redemanuskript für Sonntag, den 13. Dezember
zur Wir sind Deutschland Demo auf dem Theaterplatz in Dresden

Über zwei Dinge möchte ich reden, die vielleicht so hier noch nicht dargestellt wurden:
  • über die Multikrise
  • über persönliches Handeln in unüberschaubarer Situation.

Die Multikrise

Seit über zehn Jahren nenne ich für mich diese Situation, in der wir uns als Dresdner, als Sachsen, als Deutsche, aber auch als Bürgerinnen und Bürger der ganzen Welt befinden, die Multikrise, die Verwicklung vieler Krisen zu einer großen, ziemlich dauerhaften Krise.

Die problematische Nutzung von Kohle, Öl und Gas und der Klimawandel wurden uns seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts allmählich ins Bewusstsein gerückt. Wir haben viele Kontroversen darüber erlebt und werden sie weiterhin erleben. Heute ist sich die Mehrheit der Menschen wohl im klaren, dass die Verbrennung der fossilen Rohstoffe den CO2-Gehalt der Lufthülle unserer Erde erhöht, ihn schon beträchtlich erhöht hat und wir eine Erwärmung des Weltklimas haben. Denn sonst hätten die Gesandten von fast 200 Staaten nicht im Dezember vorigen Jahres in Paris 2 Wochen lang zusammen debattiert, wie wir mit dem Klimawandel umgehen sollen. Freilich gibt es immer Leute, die das alles nicht wahrhaben wollen, die den Kopf in den Sand stecken oder von Firmen finanziert werden, deren Geschäftsmodell mit den Folgen der exzessiven Rohstoffnutzung gerade zusammenbricht. Die Verhandler feiern die Ergebnisse von Paris. Es beginnt nun der Kampf, diese Texte überall in lebendige Wirklichkeit zu übersetzen.

Wir haben die Dauerkrise, Nahrungsmittel nicht so verteilen zu können, dass niemand auf dem Globus hungern muss. 10 mal mehr Menschen leiden in der Welt an Hunger als es Menschen in Deutschland gibt. Dass ist ein Skandal für unser Wirtschaftsmodell, denn wir produzieren genug Nahrung, verteilen sie aber falsch.

Auch mangelt es dauerhaft an einer menschlichen Verteilung des Geldes, die jede Frau, jedes Kind und jeden Mann auf dieser Welt gut leben lässt.

Damit kommen wir zur nächsten Krise, nämlich der Ungleichheit im Wohlstand, im Privatvermögen und im Einkommen. Den 1% Reichen steht die überwältigende Mehrheit von 99% gegenüber mit geringen bis sehr geringen Möglichkeiten, ein gutes Leben zu führen. Aber es ist noch schlimmer: 1 Promille haben so viel Geld angehäuft, dass sie viele viele Lakaien beschäftigen können, um das immense Vermögen weiter zu vergrößern. Sie haben eine ungeheure, aber nicht offen sichtbare Macht. Sie können damit alle demokratischen Prozesse und Regeln umgehen und unterwandern. Wir werden beispielsweise in diesen Monaten über diese Macht belehrt, wenn wir genau hinsehen, was mit den gewünschten Freihandelsabkommen TTIP, TiSA und CETA, und in diesem Zusammenhang mit Herrn Gabriel, mit Frau Merkel und mit uns geschieht.

Die genannten Krisen hängen alle auf vielfältige Weise miteinander zusammen.

Ich nenne noch ein Feld krisenhafter Entwicklung, dass mir am Herzen liegt, aber noch nicht so bekannt ist. Nicht nur wir Menschen sind von der krisenhaften Entwicklung im Wohlbefinden gestört und in der Existenz bedroht, sondern alle Lebewesen der Erde und der Meere. Das Artensterben überschreitet heute den natürlichen Artenverlust um das 100- bis 1000-fache. Das findet auch hier in Sachsen statt durch die industrielle Landwirtschaft auf fast allen verfügbaren Äckern, die keinen Platz für Vielfalt, Wanderung und Austausch lässt, so dass die Liste der ausgestorbenen Arten und die roten Listen mit Arten von Lebewesen, die vom Verschwinden bedroht sind, immer länger werden.

Alle hier werden mir weitere Krisen nennen können, die Sie bedenklich oder bedrohlich finden. Es gibt viel mehr wirklich bedrohliche Entwicklungen als ich hier aufzählen kann. Dazu gehören auch Rüstung, Kriege und Flucht.

Ich bin überzeugt, dass sie alle miteinander zusammenhängen und vielfältig verflochten sind. Ein Hauptantrieb ist wohl der ungeheure Anspruch des Kapitals, sich zu vermehren. Natürlich meine ich mit Kapital nicht die Kapitalisten, die sich vermehren, sondern die zivilisatorische Eigentumsbeziehung Kapital. Ich werde jetzt nicht weiter darauf eingehen, sondern mich dem zweiten Punkt zuwenden: Meinem persönlichen Ansatz, mich in dieser krisenhaften Welt zu bewegen.


Persönliches Handeln in unüberschaubarer Situation

Müssen wir nun völlig mutlos sein angesichts dieser unübersichtlichen und krisenschwangeren Lage? Sind wir mutlos, weil die Situation unüberschaubar ist und Angst macht?

Mein Kompass ist die Frage: Geht es mir jetzt gut?

Früher habe ich immer gefragt: Mache ich alles richtig? Das bedeutete in Wirklichkeit: Erfülle ich die Erwartungen, die meine Eltern an mich stellen? Oder genauer: Erfülle ich die Erwartungen, von denen ich glaube, dass meine Eltern und die Gesellschaft sie an mich stellen? Werde ich meinen Mitmenschen gerecht? Bin ich ein Held? Es entstand so ein Druck an meiner Kehle und so eine Unruhe in meinem Bauch. Gut ging es mir damit nicht. Je mehr ich mich anstrengte, um so unerträglicher wurde es. Da konnte ich tricksen und therapieren wie ich wollte. Im Dialog mit meiner behandelnden Ärztin kam ich endlich darauf: Es muss mir gut gehen, das ist das allerwichtigste. Das klingt egoistisch. Doch wenn ich schlapp bin vor lauter Anstrengung, kann ich eh nichts ausrichten, weder für mich noch für die anderen, weder für Deutschland noch die Welt. Mir soll es gut gehen, sonst geht gar nichts.

Ich lasse jetzt mal in meiner Rede die Marktwirtschaft und das drohende Systemversagen und die gefährdeten Lebensgrundlagen weg, auch wenn das alles wichtig ist und man trefflich darüber diskutieren kann. Ich will, dass es mir gut geht. Soll ich mir da einen Kredit aufhalsen, der mich in die Zange nimmt, um pünktlich zurück zu zahlen, und die Zinsen noch dazu? Sollte ich jetzt in Paris sein, um gegen die unzureichenden Ergebnisse der Klimaverhandlungen protestieren, oder kann ich das nicht hier in Gesprächen und von meinem Computer aus viel leichter?

Ist Leben mit der Familie und mit den Freunden, und auch mit mir allein vielleicht besser als Geschenke für Weihnachten einkaufen und alle Jahresend-Märkte der Stadt zu besuchen?

Unser Leben besteht aus Lohnarbeit und auch aus Schlaf, und aus viel viel Arbeit zu Hause. Mit Kindern leben, für sie sorgen und da sein. Sich für die Schule, das Wohnumfeld oder die größere Politik einsetzen. Anderen eine Freude bereiten. Wir leisten im Durchschnitt anderthalb mal so viel unentgeltlich beim Kochen, Aufräumen usw. als mit bezahlter Arbeit. Fast all diese unentgeltlichen Arbeiten könnten wir von bezahlten Kräften machen lassen, wie es die meisten Reichen tun. Jedoch diesen nicht monetären Tätigkeitsbereich kann ich mir täglich und stündlich so einrichten, dass es mir dabei gut geht. Ich muss mir nur dessen bewusst sein. Ich bin überzeugt, dass wir unsere Gesellschaft ändern müssen und können, damit es uns gut geht. Ich bin froh, dass ich meinen persönlichen Beitrag zum Klimawandel im weiter verkleinern konnte und auf halbem Weg zur Null-Emission bin. Das hat mir Mühe und Spaß gemacht, und damit habe ich ein gutes Gefühl, und ich lebe jetzt wirklich besser.

Auch in dieser Veränderung, in dem Fluss, in dem Wechsel will ich, dass es mir gut damit geht. Und es geht mir bis jetzt auch gut – besonders wenn ich längere Zeit keine Rückenschmerzen beim Reden im Stehen habe. Es soll mir und auch Euch und allen anderen gut gehen. Dieser Vorsatz tut Wunder, entfaltet heilsame Kräfte, hat mich kraftvoller und gelassener gemacht.

So will ich die 10 Minuten nicht überziehen und höre jetzt auf. Danke für's Zuhören.


Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen (Lukas 2:14)

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